Karl Marx und die Geburt der modernen Gesellschaft

Von Michael Heinrich

Seit mehr als hundert Jahren bildet Marx‘ Kapitalismuskritik einen Bezugspunkt für unterschiedliche soziale Bewegungen wie auch Stein des Anstoßes für die Verteidiger der herrschenden Verhältnisse. Marx war Zeuge der Durchsetzung jener «modernen» Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen – industrieller Kapitalismus, Parlamentarismus und Massenorganisationen – die immer noch unser Leben beherrschen. Seine Analysen und Kritiken treffen auch heute noch neuralgische Punkte unserer gesellschaftlichen Verhältnisse.


Leben und Werk gleichermaßen im Blick

Betrachtet man jedoch das Marx’sche Werk, stellt man fest, dass es sich um eine Folge von Anfängen und Abbrüchen handelt, keines der großen Projekte wurde beendet. Ohne Kenntnis des Lebens von Karl Marx, seiner Konflikte und Kämpfe, lässt sich diese Werkentwicklung nicht begreifen. Andererseits lassen sich aber auch die Wendungen des Marx’schen Lebensweges nicht ohne sein Werk verstehen. Viel weitergehender als in den existierenden Marx-Biographien müssen gleichermaßen Leben und Werk betrachtet werden. Adäquat lassen sich Lebens- und Werkgeschichte aber nur darstellen, wenn die zeitgenössischen Auseinandersetzungen, in die Marx verwickelt war, nicht zum bloßen Hintergrund schrumpfen und wenn die Freunde und Gegner von Marx nicht zu bloßen Statisten werden. Zwar beansprucht jede Biographie Marx «in seiner Zeit» zu betrachten, doch geschah dies bisher nur sehr unzureichend und punktuell. Ein genauerer Blick wird so manche Legende zerstören, die bislang unkritisch kolportiert wurde.

Marx endet nicht bei der Kritik der politischen Ökonomie

«Theoretische Einschnitte» lassen sich nicht nur zwischen «jungem» und «altem» Marx finden, die Entwicklungen sind komplexer, als dass sie sich in ein Zwei- oder Dreiphasenmodell pressen lassen. Die beliebte Alternative «Kontinuität» oder «Bruch» in der Werkentwicklung erweist sich als viel zu schematisch. Auch gibt es keineswegs eine zwangsläufige Entwicklung hin zum «Kapital» als «Hauptwerk». Marx beginnt nicht bei der Kritik der Politik und endet bei der Kritik der Ökonomie. Auch wenn er sein geplantes Buch über den Staat nie schreiben konnte und sich die letzten 30 Jahre seines Lebens auf die Ausarbeitung seiner Ökonomiekritik konzentrierte, ist die Kritik der Politik stets anwesend und entwickelt sich, genauso wie seine Vorstellung von Kommunismus, erheblich weiter. Um dies deutlich zu machen, werden nicht nur die großen und bekannten Werke in den Blick genommen, sondern auch die Vielzahl journalistischer Arbeiten und die Exzerpte, die erst jetzt durch die neue Marx-Engels-Gesamt-ausgabe (MEGA) zugänglich geworden sind.

Vier Bände sind geplant

Der erste Band, der 2018 erschien, beschäftigt sich ausführlicher als bislang üblich mit der Marxschen Jugend in Trier und seinem Studium in Bonn und Berlin. Er enthält neue Einsichten über Marx‘ Hin-wendung zur Hegelschen Philosophie und die Rol-le seiner frühen poetischen Versuche, auch seine Freundschaft mit Bruno Bauer und die Rolle der «Junghegelianer» werden neu diskutiert. In einem Anhang wird die Methodik einer Marx-Biographie mit materialistischem Anspruch deutlich gemacht. Der zweite Band, der 2021 erscheinen soll, wird die Jugend von Friedrich Engels, Marx‘ Hinwen-dung zu einem kämpferischen Journalismus, seine komplexe Auseinandersetzung mit der Hegelschen Rechtsphilosophie sowie seinen keineswegs gerad-linigen Weg in Richtung materialistischer und kom-munistischer Positionen behandeln. Dabei werden seine Auseinandersetzungen mit Moses Hess, Lud-wig Feuerbach, Pierre-Joseph Proudhon, Michail Bakunin genauso eine Rolle spielen wie seine ers-te Aneignung der klassischen politischen Ökono-mie und die Frage, ob sich insbesondere in seiner Schrift «Zur Judenfrage» antisemitische Elemente finden lassen.

Übersetzungen

Übersetzungen des ersten Bandes sind 2018 auf Portugiesisch bei Boitempo in Brasilien, 2019 auf Englisch in den USA bei Monthly Review Press und auf Französisch bei Les Éditions Sociales er-schienen. 2020 wird eine spanische Übersetzung bei AKAL erscheinen.

Cover-Entwurf

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